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WITTGENSTEIN UND DIE AERONAUTIK 1989
Videocollage für die Ausstellung Wittgenstein |

U-Matic LowBand 00:08:10
Konzept, Gestaltung, Kamera, Schnitt © GRAF+ZYX Text: Gabriele Hammel-Haider Sprecher: Gabriele Hammel-Haider, Michael Huter Fotomaterial: Michael Nedo, Wittgenstein-Archiv Hubschrauberaufnahmen: Friedrich von Doblhoff, Fairey Aviation
[Des Menschen Traum vom Fliegen ist (höchstwahrscheinlich) so alt wie die Menschheit. - Um 1900 nach Christus geht der Traum endlich in Erfüllung:]
1896 stürzt Otto von Lilienthal bei einem seiner Gleitflüge noch zu Tode,
1903 gelingt Wilbur Wright der erste gesteuerte Motorflug.
»Wieder wird die Schraube angedreht, vielleicht besser als früher, vielleicht auch nicht, der Motor kommt mit Lärm in Gang, als sei er ein anderer, vier Männer halten rückwärts den Apparat, und inmitten der Windstille ringsherum fährt der Luftzug von der schwingenden Schraube her in Stößen durch die Arbeitsmäntel dieser Männer. Man hört kein Wort, nur der Lärm der Schraube scheint zu kommandieren, acht Hände entlassen den Apparat, der lange über die Erdschollen hinläuft wie ein Ungeschickter auf Parketten. - Viele solcher Versuche werden gemacht, und alle enden unabsichtlich.« (Franz Kafka 1909)
[Die Dichter rühmen und zweifeln,
die Technik entwickelt,
die Industrie gedeiht,
der Krieg entdeckt die Luft als Schauplatz.]
Das Thema Aeronautik liegt in der Luft, die Problemlösungen aber noch nicht immer auf der Hand.
Ludwig Wittgenstein, der von Kindheit an technisch sehr interessiert und begabt war, besaß u.a. auch ein Exemplar von Boltzmanns »Populären Schriften«, in denen auch der Vortrag »Über Luftschiffahrt« aus dem Jahr 1894 abgedruckt ist.
»Es ist zu bemerken, daß bei Konstruktion von akustischen und optische Apparaten, von Pumpen und Fortbewegungsmechanismen die tierischen Organe immer nur bis zu einer gewissen Grenze als Vorbilder dienen können, da die Natur mit abweichenden Mitteln arbeitet und abweichende Zwecke verfolgt, namentlich rotierende Apparate sind ihr fast völlig fremd, während unsere Schaufelräder und Wasserschrauben statt der hin- und hergehenden Fischflossen, unsere Velocipede statt der im buchstäblichen Sinne hin- und hergehenden Füße mit Erfolg verwendet werden.
Es erscheint die durch die Luftschrauben fortbewegte Aeroplane der theoretisch aussichtsvollste Mechanismus und der einzige, welcher sich in kleinen Modellen, sowie in größerer Ausführung bereits tatsächlich in die Luft erhoben hat.«
Auch aus anderen Schriften ist Wittgenstein mit der Geschichte der Luftfahrt vertraut. Auch mit den Schwierigkeiten, die bei der Konstruktion eines Hubschraubers unüberwindbar scheinen. Noch 1909 soll Wilbur Wright gesagt haben:
»Wie alle Neulinge begannen wir mit dem Hubschrauber, sahen aber bald ein, daß Hubschrauber einfach keine Zukunft haben, und ließen daher das Projekt fallen.«
Wittgenstein studiert 1906-1908 an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg Maschinenbau und befaßt sich mit flugtechnischen Fragen. 1908-1910 arbeitet er als Research-Student am Engeneering Laboratory der Universität Manchester an der Entwicklung eines Flugmotors.
Als der 21 jährige Ludwig Wittgenstein am 22. November 1910 in Manchester seine »Improvements in Propellers applicable for Aerial Machines« (Verbesserungen von Propellern für Luftfahrzeuge) zur Patentierung einreicht, ist damit ein interessanter und wichtiger Schritt in der Entwicklung der Flugtechnik getan:
„Diese Erfindung besteht im Wesentlichen aus einem Motor mit radial angeordneten Armen, von denen jeder an seinem äußeren Ende eine Brennkammer und eine Auspuffdüse trägt, und jeder Arm entweder als Propellerblatt ausgebildet oder mit einem solchen ausgerüstet ist.« Treibstoff und Luft werden durch die zentrale Nabe und die Arme zu den Brennkammern geleitet, deren Auspuffdüsen je nach Anforderung in rechtem oder anderem Winkel zur Längsachse des Arms angeordnet sind.
Die zündende Idee von Wittgensteins Patent besteht darin, daß die den Propeller bewegende Kraft nicht von außen zugeführt, sondern in den Blattspitzen selbst durch Verbrennung erzeugt wird:
Der Propeller ist der Motor!
Wittgenstein gelingt es mit der Idee seines Patents, ein bis dahin ungelöstes Problem der Flugtechnik im Prinzip so zu formulieren, daß das Problem verschwindet.
Die Ausarbeitung seiner Idee auch im Detail führt Wittgenstein nicht mehr durch.
Am 17. August 1911 erhält er das Patent für seine Idee.
Ab Herbst 1911 widmet er sich in Cambridge der Logik und Philosophie. Das Patent gerät in Vergessenheit.
In völliger Unkenntnis der Wittgensteinschen Erfindung kommt der Konstrukteur Friedrich Doblhoff Ende der 30er Jahre ebenfalls zu der Lösung mit Rückstrahlantrieb in den Blattspitzen des Rotors. Es gelingt ihm auch, die zahlreiche Detailprobleme zu lösen: 1943 fliegt der Hubschrauber WNF 342 als erster Drehflügler mit Strahlantrieb.
Das Prinzip erweist sich als zukunftsträchtig und ausbaufähig: der Kombinations-Flugschrauber »Rotodyne« von Fairey steht im Mittelpunkt des Interesses der Farnborough-Flugschau 1958. - 1959 wird mit dem »Rotodyne« sogar ein neuer Weltrekord geflogen: 307 km/h über 100 km geschlossene Strecke. - Am Aerosalon 1959 in Paris bildet das »Rotodyne« den Hauptanziehungspunkt.
In der Luftschlacht der Wirtschaftspolitik stürzt das »Rotodyne« ab.
»Jemand könnte eine Flugmaschine erdichten, ohne es mit ihren Einzelheiten genau zu nehmen. Ihr Äußeres mag er sich sehr ähnlich dem eines richtigen Aeroplanes vorstellen, und ihre Wirkungen malerisch beschreiben. Es ist auch nicht klar, daß so eine Erdichtung wertlos sein muß. Vielleicht spornt sie Andere zu einer anderen Art von Arbeit an. - Ja, während diese, sozusagen von fern her, die Vorbereitungen treffen, zum Bauen eines Aeroplanes, der wirklich fliegt, beschäftigt Jener sich damit, zu träumen, wie dieser Aeroplan aussehen muß, und was er leisten wird. Über den Wert dieser Tätigkeiten ist damit noch nichts gesagt. die des Träumers mag wertlos sein - und auch die andere.« (L. W. 1946)